Interview mit Branchenkenner Sven Hohmann zur aktuellen Lage der Bauwirtschaft

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Seit Monaten befindet sich die Wirtschaft im Ausnahmezustand. Während insbesondere Branchen wie Tourismus und Gastronomie unter der Corona-Pandemie zu leiden haben, geht die Krise auch an der Bauwirtschaft nicht spurlos vorbei. Im folgenden Interview vermittelt Geschäftsführer der ibau GmbH Sven Hohmann seine Eindrücke zur aktuellen Situation. Er ist im deutschsprachigen Raum für die Geschäftseinheiten der Infopro Digital Gruppe verantwortlich und gibt als Branchenkenner eine Einschätzung zu den Auswirkungen der Pandemie auf die Baubranche ab. Auch mögliche Chancen für die Zukunft werden thematisiert.

Sven Hohmann im Interview mit Marius Beilhammer

Herr Hohmann, die Lockerungen der Einschränkungen bezüglich der Corona-Pandemie erfolgen nur langsam. Auch für Unternehmen geht es nur schleppend Richtung Normalität. Welche Auswirkungen hat das Coronavirus derzeit auf die Baubranche?

Da sich die Bauindustrie aus mehreren Beteiligten mit unterschiedlichem Schwerpunkt zusammensetzt, lässt sich keine pauschale Antwort auf diese Frage geben. Die Branche lässt sich grob in die Teilbereiche Industrie und Handel, Auftraggeber, Architekten und ausführende Betriebe einteilen. Zudem gibt es Unterschiede bei den Auswirkungen in den verschiedenen Bauphasen.

Nach aktuellem Kenntnisstand könnte die Baubranche mit einem blauen Auge aus der Krise hervorgehen. Im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen sind die Folgen weniger extrem. Entwarnung kann jedoch nicht gegeben werden, da sich die wirtschaftlichen Einschnitte oft erst zeitlich verzögert auswirken. Meiner Meinung nach muss sich die Baubranche noch auf spürbare Folgen einstellen.

„Wie schätzen Sie die Stimmungslage der Branche und die künftige Entwicklung ein?“

Entwicklungstendenzen können wir beim Betrachten unserer tagesaktuellen Daten erkennen, die wir durch unsere Kontakte zu Vergabestellen, Bauträgern, Architekten, Investoren und Generalunternehmern sowie aus dem Ausschreibungsgeschäft gewinnen. Insbesondere Auftraggeber haben mit deutlichen Folgen zu kämpfen. Trotz 61 Prozent aller Bauvorhaben, die planungsgemäß realisiert werden, zeichnen sich Tendenzen der Zurückhaltung hinsichtlich neuer Projekte ab. Die markante Planungsunsicherheit führt dazu, dass neu geplante Bauvorhaben kontinuierlich abnehmen. Da auf Baustellen in Deutschland weiterhin gebaut werden darf, wenn die Hygienevorschriften eingehalten werden, können sich vorwiegend ausführende Unternehmen über eine gute Auslastung freuen. Der Ausblick auf die kommenden Monate ist für die Baubranche deshalb weiterhin optimistisch, wenn auch nur verhalten. Fehlendes Baumaterial, Ausfälle von Gewerken und verzögerte Fertigstellungen verdeutlichen allerdings, dass sich erst jetzt die ersten ernsten Auswirkungen zeigen. Bleibt abzuwarten, ob das angekündigte milliardenschwere Konjunkturprogramm der Bundesregierung Wirkung zeigt.

Wir stellen unsere aufbereiteten Informationen jedem kostenlos zur Verfügung, damit sich Betriebe und Verantwortliche der Branche ein Bild zu den Auswirkungen der Pandemie machen und von der Transparenz profitieren können. Auf unserer Internetseite ibau.de ist unter anderem unsere aktuelle Sentiment-Analyse zum März verfügbar, die auf Basis von mehr als 1.000 Gesprächen mit unserem Partnernetzwerk und 30 Schwerpunktinterviews ein Stimmungsbild wiederspiegelt und eine Einschätzung der Lage sowie potenzieller Entwicklungen zulässt.  Für den Monat April arbeiten wir bereits mit Hochdruck an der Auswertung.

„Sie erwähnten unterschiedliche Folgen abhängig von Bauphasen. Können Sie diese Unterschiede beschreiben?“

Nach Plan beziehungsweise mit kaum Verzögerungen verlaufen beispielsweise Bauvorhaben, die kurz vor Baubeginn stehen oder bereits gestartet sind. Erste Engpässe sind aber bei der Baumateriallieferung nachvollziehbar. Ausbau und technische Gewerke sind besonders betroffen. Eine große Rolle spielen die globalen Zusammenhänge. Während der deutsche Binnenmarkt im Bereich Rohbauprodukte als Bezugspunkt dient, sind Ausbau und haustechnische Gewerke teilweise abhängig von ausländischen Märkten. Das zeigt sich unter anderem bei Elektronikbauteilen und Keramik. Nahezu stagnierende Zahlen herrschen aktuell bei Bauprojekten, dessen Realisierung im Rahmen von ein bis zwei Jahren erfolgen sollen. Eine abwartende Haltung lässt sich insbesondere bei privaten Bauherren beobachten. Sie warten ab, bevor sie Bauvorhaben beauftragen, bis sie die Lage besser einschätzen können. Prognosen zur langfristigen Auswirkung der Corona-Krise auf die Branche sind daher schwer zu erstellen.

„Wie sehen Sie die Lage in den Sektoren der Bauwirtschaft?“

Der Bedarf an gewerblichen Immobilien, Wohnraum und kommunalen Einrichtungen wie Schulen ist nach wie vor da. Die Auftragslage beim gewerblichen Wohnungsbau und öffentlichen Projekten ist gefestigt. Im privaten Wohnungsbau zeichnen sich massive Einbrüche ab. Wie zu erwarten war, sind die Rückgänge auch in den Sektoren Hotellerie, Gastronomie, Produktion und Industrie deutlich. Vermutlich stehen uns weitere Rückschläge aufgrund der finanziellen Folgen von Corona bevor.

„Hat die Baubranche durch die Pandemie etwas gelernt?“

Nie zuvor mussten sich die Unternehmen derart schnell anpassen. Die völlig neue und unbekannte Situation hat der Branche maximale Kreativität und Flexibilität abverlangt. Ich sehe hier eine große Chance die Digitalisierung voranzutreiben und durch Tools informiert zu bleiben.

„Was bedeutet die Digitalisierung für das Baugewerbe?“

Bei der Baubranche handelt es sich, vorsichtig ausgedrückt, um eine eher traditionsbewusste Branche, die großen Wert auf den persönlichen Kontakt legt. Angesichts der erheblichen Summen, um die es bei zahlreichen Projekten geht, ist dieses Traditionsbewusstsein nachvollziehbar. Eine vertrauenswürdige Partnerschaft ist Voraussetzung für eine gelungene Zusammenarbeit. Im Rahmen der Corona-Krise mussten auch in der Bauwirtschaft Meetings per Videotelefonie geführt werden. Durch die Kontaktbeschränkungen wurde die Branche zum Umdenken gezwungen. Erfreulich ist, dass die Krise gezeigt hat, dass die Nutzung digitaler Medien funktioniert und Chancen bietet. Dennoch ist der digitale Weg der Kommunikation vielen Unternehmen bei Projekten in Millionenhöhe nicht persönlich genug. Viele unserer Ansprechpartner haben die fehlende Nähe zu ihren Geschäftspartnern bemängelt. Eine attraktive Alternative stellen digitale Medien bei der Auftragsakquise dar, um Umsatzpotentiale zu sichern.

„Welche Maßnahmen raten Sie Unternehmen, um ihr Geschäft vor negativen Folgen zu schützen?“

Durch ein optimiertes Reaktionsvermögen können sich Betriebe echte Wettbewerbsvorteile sichern. Insbesondere hinsichtlich des Ausschreibungsverhaltens öffentlicher Auftraggeber ergeben sich Chancen, weil Schwellenwerte erhöht und Bewerbungs- sowie Vergabefristen verkürzt wurden. Das geht mit schnelleren Prozessen einher. Sind Unternehmen in Bezug auf neue Bauprojekte auf dem Laufenden, können sie frühzeitig reagieren und den Verantwortlichen Angebote unterbreiten. Einen Überblick über ausgeschriebene Projekte gewähren diverse Anbieter. Darunter die ibau GmbH. Unser browserbasiertes System ibau Xplorer fasst alle ausgeschriebenen Aufträge und Bauvorhaben mit Relevanz in der Bundesrepublik zusammen. Die Besonderheit: Wir liefern ergänzend die Kontaktdaten zu den zuständigen Verantwortlichen, sodass Unternehmen diese nicht mühsam recherchieren müssen. Das spart wertvolle Zeit und dürfte ein Grund für die erhöhte Nachfrage sein, die wir derzeit erleben.

„Wie kommen Sie zu Ihrem Wissen?“

Bereits seit 1957 liefern wir der Baubranche Informationen. Wir recherchieren deutschlandweit nach geplanten Bauvorhaben und öffentlichen Aufträgen. Hierfür nutzen wir unser exklusives Partnernetzwerk, moderne Technologien und künstliche Intelligenz. Mit der Expertise der Ansprechpartner und unseren Daten können wir frühzeitig Stimmungsbilder erarbeiten und die wirtschaftliche Entwicklung prognostizieren.

Herr Hohmann, vielen Dank für das Gespräch.

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