Umbau im Bestand: was der Tour Bois-le-Prêtre und das Zero-Waste-Café gemein haben

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Der Umbau im Bestand hat sich als bewährtes Mittel gezeigt und er schafft eines knappes Gut: bezahlbaren Wohnraum. Die Urbanisierung zählt zu den absoluten Megatrends unserer Zeit. Neben einer zunehmenden Verkümmerung des ländlichen Raums hat dies vor allem den negativen Effekt, dass Wohnraum in den Städten immer knapper und teurer wird. Eine der größten Herausforderungen besteht daher in der Schaffung von Wohnungen, die auch für einkommensschwache Familien erschwinglich sind. Gerade im Neubau erweist sich das angesichts immer höherer Baukosten jedoch als schwierig. Drei gelungene Konzepte zeigen indes, dass der Umbau von Bestandsgebäuden hingegen ein probates Mittel für günstiges Wohnen sein kann – insbesondere, wenn die Alternative Abriss und Neubau lautet.

Der Effizienz geschuldet: der Umbau im Bestand als sinnvolles Mittel zum Zweck

Große Plattenbausiedlungen, wie sie in aller Welt zu finden sind, galten in den 1960ern und -70ern noch als Symbol des Fortschritts und hatten mitunter den Sinn, sichtbare Klassenunterschiede durch weitläufige Gleichförmigkeit zu beseitigen. Mittlerweile sind die homogenen Betonklötze jedoch vielmehr Sinnbilder für Armut und Elend. Gedanken an Abriss und neugebauten Neuanfang liegen da durchaus nahe. Geht man nach einer Studie der französischen Architekten Lacaton & Vassal und Frédéric Druot, sind sie bloß keine wirklich gute Idee. Diese propagierte bereits Mitte der Nullerjahre die Effizienz und enormen Potenziale von Umbaumaßnahmen für bezahlbares und zugleich ansprechendes Wohnen.

In der Gegenwart hat der Umbau im Bestand noch eine ganz neue Facette dazu erhalten: wir sprechen vom Energiesparen. Gerade die oben angesprochenen Plattenbauten erwiesen sich bei Untersuchungen als wahre Energiefresser. In Mittel- und Osteuropa liegt deren Energieverbrauch in unrenoviertem Zustand etwa 50% höher als bei vergleichbaren Häusern in Deutschland. Wissenschaftler der Universität Kassel entwickelten hier ein Modell für den energieverbrauchorientierten Umbau im Bestand. Unterstützung finden die Kasseler Wissenschaftler auf EU-Ebene. Hier winkt eine Förderung, wenn es sich als möglich erweist, Objekte aus dem osteuropäischen Bestand an Plattenbauten kostengünstig umzubauen. Ziel eines solchen Projekts wäre es auch, die Zerstörung gewachsener Sozialstrukturen durch den Abriss zu verhindern. Hochrechnungen haben ergeben, dass der energetisch vorteilhafte Umbau im Bestand in Ungarn jedes siebte Haus betreffen würde. Die Kasseler haben bereits einen ersten Praxistest gestartet, um die Richtigkeit ihres Konzepts in der Umsetzung zu beweisen. Davon profitiert die ungarische Stadt Dunaújváros. Hier wird ein siebengeschossiger Plattenbau umgebaut.

Mehr Licht und Raum durch vorgesetzte Wintergärten und Balkone

Laut der Studie PLUS könnten für den Preis, für den eine neue Wohnung mittels Abrisses und anschließenden Neubaus geschaffen wird, drei bis vier Wohnungen durch Umbau im Bestand modernisiert und erweitert werden. Ihre steile These bestätigten die Architekten erstmals 2011 in Paris bei der Sanierung des Tour Bois le Prêtre. Abriss und Ersatzneubau des Wohnturms mit rund 100 Sozialwohnungen hätten um die 20 Millionen Euro gekostet. Stattdessen wurden die Bestandswohnungen für etwa die Hälfte der Kosten durch eine Erweiterung in Form vorgesetzter Wintergärten und Balkone energetisch optimiert und architektonisch aufgewertet.

Das nachfolgende Video des YouTube-Channels steirischerherbst stellt das Projekt des Tour Bois le Prêtre vor.

Umbau der Cité du Grand Parc in Bordeaux: Bestand von 530 Wohneinheiten modernisiert

Ähnlich erfolgreich waren Lacaton & Vassal bei der Transformation der Cité du Grand Parc in Bordeaux, die 2016 fertiggestellt wurde. Mithilfe 1.200 vorgefertigter Betonmodule wurden dabei 530 Wohneinheiten durch Wintergärten und Balkone erweitert, die nicht nur mehr Licht und Weite, sondern gleichsam hervorragende Dämmwerte einbrachten. Auch hier blieben die Kosten gering und die Mieter von drastischen Mieterhöhungen verschont.

Das GHI Aquitanis-Projekt des Bordeaux Métropole Public Housing Office war ein außergewöhnliches Programm für die Sanierung der 530 sozialen Mietwohneinheiten in den Wohnhäusern Gounod, Haendel und Ingres (daher G, H, I) im Bezirk Grand Parc in Bordeaux. Dieser Umbau im Bestand setzt als außergewöhnliche „Regeneration“ und als Werk der Architekten Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal, die mit Frédéric Druot und Christophe Hutin verbunden sind, Maßstäbe. Das nachfolgende Video gibt Einblicke in das Umbau-Projekt.

Aufstockung für Kreislaufwirtschaft

In Berlin-Neukölln läuft derzeit ein spannendes Projekt, das ebenfalls per Transformation (unter anderem) für günstigen Wohnraum sorgen soll, und zwar dort, wo es vorher keinen gab. Dabei wird eine ehemalige Fassladehalle der früheren Kindl-Brauerei zum „CRCLR House“ umgebaut. Die Halle erhält nach Plänen des Berliner Büros Hütten und Paläste eine zweieinhalbgeschossige Aufstockung. Mithilfe des erweiterten Raumes sollen in dem Industriegebäude Räume für Co-Living, Co-Working, ein Gewächshaus sowie ein Zero-Waste-Café für zirkuläre Veranstaltungen entstehen. Das CRCLR House steht und entsteht nämlich ganz im Zeichen der Kreislaufwirtschaft (CRCLR steht für „circular“) und wird hierfür obendrein durch das SIWA-Programm des Berliner Senats gefördert. Das SIWA-Programm in Berlin fördert den Umbau im Bestand mit einem jährlichen Volumen von 300 – 400 Millionen Euro. In Berlin entspricht die Höhe des Nachhaltigkeitsfonds des SIWA-Programms grob einem Prozent des Jahreshaushaltsvolumens.

Die vertikale Wohnungserweiterung – finanziert durch das SIWA-Programm des Berliner Senats – diente als Umbau im Bestand dem Langzeiterhalt eines historischen Lagers als Kultur- und Geschäftszentrum sowie der vertikalen Erweiterung mit Wohneinheiten in modularer Holzplattenkonstruktion. Wohn- und Gewerbezwecke sind durch zirkuläre Prozesse auf vielfältige Weise miteinander verbunden. Im Rahmen der erstmaligen Nutzung wurde in Berlin ein erster Schritt zur Implementierung eines Circular Economy Lab unternommen und mit nur wenigen Änderungen das Gebäude im Bestand für die vorübergehende Nutzung zur Verfügung gestellt. Das CELab bildet die Funktion eines offenen, experimentellen Raums für den intelligenten Einsatz von Ressourcen und zirkuläre Geschäftsmodelle. Langfristig wird das vorläufige Nutzungskonzept fortgesetzt, weiterentwickelt und durch eine vertikale Erweiterung um Wohneinheiten ergänzt, die neue und vor allem kostengünstige Wohnungen für einen breiten Querschnitt der Bevölkerung schaffen.

Den Bestand entkernt, geöffnet, optimiert: Umbau als Chance

Eine weitere effektive Umbau-Strategie verfolgten NL Architects und XVW architektuur bei der Sanierung des alten Amsterdamer Wohngiganten de Flat Kleiburg. Die 400 Meter lange kolossale Wohnstätte wurde komplett entkernt und ihre Struktur geöffnet und optimiert, so dass Wohnungen sowohl horizontal als auch vertikal zusammengelegt werden konnten. Zudem wurden frühere Verkehrswege dem Wohnraum zugeführt und diverse geschlossene Flächen für eine bessere Belichtung verglast. Die neuen Wohneinheiten konnten anschließend für lediglich 1.200 Euro pro Quadratmeter erworben werden. Während die Bewohner so günstig zu Wohneigentum kamen, erntete das Projekt selbst einigen Ruhm: Es wurde mit dem Mies van der Rohe Award 2017 ausgezeichnet.

Alt trifft neu: Maximale Kosteneffizienz durch digitales Planen und Bauen

Bei den erwähnten Konzepten trifft alte Substanz auf neue Formen und Ansprüche an modernen Wohnraum. Da besonderes Augenmerk auf der Bezahlbarkeit liegt, ist maximale Kosteneffizienz eines der Hauptziele. Jeder Fehler im Projekt kann am Ende höhere Kosten für die Verbraucher bedeuten. Daher wird auch beim Bauen im Bestand immer mehr die immense Bedeutung des digitalen Planens und Bauens erkannt. Bestandsgebäude können etwa per Laser vermessen und als Punktwolke in ein 3D-Modell überführt und im CAD exakt weitergeplant werden. Durch BIM (Building Information Modeling) lassen sich überdies unter anderem Kollisionen zwischen Architektur und Statik erkennen, bevor sie „verbaut“ werden. Dadurch werden Fehler auf der Baustelle vermieden, was letztlich Zeit und auch Kosten spart.

 

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